Montag, 28. Januar 2008

Sauna-Walter und ich

An meinem Arbeitsplatz bin ich für jedermann gut sichtbar, das gehört so. Das ist nicht weiter schlimm. Es gehört zum Job, dass man Tag für Tag mit vielen Menschen spricht, mit den einen mehr, mit den anderen weniger gerne. Aufgrund der Vielzahl an Gesprächen hebt sich allerdings nicht viel von der Masse ab. Soll heißen: Damit sich jemand als Person oder Anliegen dauerhaft in der Erinnerung festsetzt, bedarf es einiger erfüllter Kriterien.

1.Die Person ist besonders nett oder
2.Die Person ist besonders unverschämt oder
3.Die Person ist besonders ekelhaft oder
4.Die Person verfolgt ihr Anliegen mit besonderer Penetranz oder
5.Die Person stellt sich besonders dumm an oder
6.Das Anliegen der Person ist besonders interessant

In meinem Job lernt man sehr schnell, mit allen möglichen Typen umzugehen, man kann sie auf Distanz halten und lernt, freundlich zu sein, auch wenn man das Gegenüber äußerst unsympathisch, dumm oder frech findet. Soweit so gut, darin bin ich beinahe perfekt. Die Leute sehen mir meistens nicht an, was ich über sie denke. Das wiederum führte aber zu folgender Kette von Ereignissen:

Woche 1: Es ist Montag Morgen, ich sitze an meinem Arbeitsplatz. Plötzlich steht vor mir ein älterer Mann und bedenkt mich mit einem besonders aufmerksamen Lächeln. Ich schau ihn an, lächle zurück und sage: „Kann ich Ihnen helfen?“ Daraufhin er: „Das haben Sie schon!“ und geht weg. Ich verspüre ein leichtes Unwohlsein.

Woche 2: Es ist Montag Morgen, ich sitze an meinem Arbeitsplatz. Plötzlich steht der ältere Mann von letzter Woche wieder vor mir. Er sagt: „Guten Morgen, junge Frau.“ (SOWAS hasse ich wie die Pest, mit „junge Frau“ angesprochen werden. Das machen auch nur Leute, die auch Dinge wie „Wie geht’s uns denn heute?“ sagen, aber egal) Ich sage: „Guten Morgen. Was kann ich für Sie tun?“ Er: „Sie könnten mir Ihr bezauberndes Lächeln schenken.“ Sprichts und geht weg. Ich verspüre ein deutliches Unwohlsein, schüttele mich leicht und kann mir ein wölfisches Grinsen dabei nicht verkneifen.

Woche 3: Es ist Montag Morgen, ich sitze an meinem Arbeitsplatz. Plötzlich steht der ältere Mann von letzter und vorletzter Woche wieder vor meinem Schreibtisch. Ich sehe hoch, erschrecke und verkneife mir das „Guten Morgen, was kann ich für Sie tun?“ und sage statt dessen: „Ja?“ Er sagt: „Junge Frau, ich musste die ganze Woche an ihr bezauberndes Lächeln denken. Sie sitzen aber kalt und zugig hier, ich hab Ihnen mal was mitgebracht.“ Sprichts, legt ein Wick Halsbonbon auf meinen Tisch und eilt in forschem Tempo von dannen. Es ist Montag Morgen, ich sitze an meinem Arbeitsplatz und wünsche mir, es gäbe keinen Montag Morgen, keinen Tisch und keine Halsbonbons. Ich werde bockig, denke: „DAS, verdammte Scheiße, hat meine Mama mir schon beigebracht: Von fremden Onkeln nimmst Du keine Bonbons!“ Das Bonbon wandert in den Müll und ich verspüre für etwa 10 Minuten eine leichte Verschiebung der Stimmung in Richtung >ungnädig<.

Woche 4: Es ist wieder Montag Morgen, ich sitze an meinem Arbeitsplatz und bin ungnädig. Gar nicht plötzlich steht der ältere Mann von letzter und vorletzter Woche und der Woche davor wieder vor meinem Tisch. Er stößt hervor: „Sagen Sie mal, wissen Sie zufällig, wo hier das Seminar über zwischenmenschliche Beziehungen auf der Grundlage Ihres wunderschönen Lächelns ist?“ Ich meine, mich zu verhören, starre ihn an und mein Unterkiefer bewegt sich in äußerst unattraktiver Art und Weise in Richtung Schlüsselbein. Er grinst. „Wissen Sie nicht? Na, dann überlegen Sie mal, ich komme nächste Woche und frage noch mal! Ich bin übrigens Walter, nur damit Sie meinen Namen kennen.“ Sprichts, legt mir wieder ein Wick Halsbonbon auf den Tisch und hoppelt zur Tür heraus. So, so. Das Grauen hat nicht nur ein Gesicht, jetzt hat es auch einen Namen: Walter.
Das Bonbon landet wieder im Papierkorb, mein Unbehagen verwandelt sich in offenen Ekel. Wobei bitte denkt der die ganze Zeit an mich und mein bezauberndes Lächeln? Walter sieht aus wie der typische Frischrentner, der aufgeschlossen, fit, sonnenbankgebräunt, goldrandbebrillt und mit rasierter Brust in der Sauna hockt, weil das die einzige Möglichkeit ist, unwilligen jungen Frauen das Geschlechtsteil zu präsentieren, ohne eine Strafanzeige zu kassieren.

Woche 5: Sonntag abend bekomme ich Beklemmungen und bitte eine Kollegin, mich zu vertreten. Ich will nichts von Walter hören, sehen oder bekommen. Keine Bonbons morgen. Und lächeln werde ich zur Sicherheit schon jetzt nicht mehr. Montag morgens, ich sitze an meinem Schreibtisch. Plötzlich eine SMS von der Kollegin: "Schöne Grüße von Walter!" Und dann noch eine mit "also echt, darauf hättest du mich vorbereiten können!"

Woche 6, die Weihnachtswoche: Es ist Montag morgen, ich sitze an meinem Arbeitsplatz, meine Aufmerksamkeit gleicht der eines Soldaten im Manöver, dem der Feldwebel im Nacken sitzt. Ich plane, etwa 8 Minuten vor Walters üblicher Zeit, also 10.07 h, zur Toilette zu verschwinden und mich dort etwa 20 Minuten zu verstecken. Um 10.04 h entdecke ich Walter, wie er sich von der Seite an meinen Schreibtisch heranpirscht. ZU SPÄT! VERDAMMT!!!
Walter steht vor meinem Tisch und sagt: "Junge Frau, ich habe Ihnen einen kleinen Weihnachtsgruß mitgebracht. Sie lächeln doch immer so schön." Sprichts und hält mir einen kleinen zusammengeknüddelten Zettel unter die Nase. Ich schlucke und weiß, jetzt kommt es darauf an: Wenn ich jetzt nicht hart bleibe, werde ich Walter NIE WIEDER LOS. Also sage ich: "Walter, so geht das nicht. Ich nehme keine Zettel von Ihnen. Ich nehme keine Bonbons von Ihnen, und ich möchte auch nicht so angesprochen werden." Walter guckt irritiert und sagt betreten: "Aber ich find Sie doch so sympathisch!" "Das ist jetzt nicht mein Problem, trotzdem nehme ich nichts von Ihnen an." sage ich, und wenn ich ein Hund wäre, würde ich die Zähne dabei fletschen und den Schwanz einklemmen, aber das tue ich nicht, denn dann denkt Walter wieder, ich würde ihn nett anlächeln. Statt dessen sehe ich ihm fest ins Gesicht und verziehe dabei keine Miene. Zur Sicherheit habe ich mir noch einen Ring besorgt, der nach Ehering aussieht, und mich erkundigt, an welcher Hand man eigentlich Eheringe trägt (woher soll ich sowas auch wissen!?), den ich jetzt vielsagend und gut sichtbar an meinem Finger hin und her drehe. Walter sieht mir ins steinerne Gesicht, sieht auf meine Hand und ich sehe, wie er sich geschlagen gibt. "Naja", sagt er "Ich wünsche Ihnen und Ihrem Mann aber trotzdem schöne Weihnachten." Sprichts und zieht mit seinem Zettelchen von dannen.

Seitdem war Ruhe und ich hatte friedliche, ungestörte und walterfreie Montage bei der Arbeit.
Nur heute, da sah ich Walter, wie er sich an meinen Schreibtisch pirschte und dann doch ein paar Meter vorher abdrehte. Ich warte mal auf den nächsten Montag und lege mir Sonntag Abend meine Eheringattrappe zurecht, nur zur Sicherheit.

Also manchmal,
ARGH! stuff
ARGH!ARGH!!
dorm stuff
everyday stuff
heartstrings
interpersonal stuff
london stuff
menfolk-stricken stuff
Musik: An!
musing stuff
poppycock stuff
pub stuff
stöckchen stuff
yeahbaby!yeah!
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